Reise durch ein fremdes Land

David Park
Reise durch ein fremdes Land
Aus dem Englischen von Michaela Grabinger
DuMont 2022
190 Seiten
ISBN 978-3-8321-6652-6
Kurz vor Weihnachten steht Nordirland still: Schnee, Eis, gesperrte Straßen, ein Land im Wartemodus. Inmitten dieser Starre beschließen die Eltern von Luke, dass Vater Tom ihren Sohn, der an der Ostküste von England studiert, trotz aller Widrigkeiten nach Hause holen muss. Was als dringliche Autofahrt beginnt, wird schnell zu einer Reise in Toms innerstes Archiv: Erinnerungen, Schuld, eingefrorene Gefühle – alles taut langsam auf, während er sich durch die weiße Ödnis kämpft.
Der Roman umspannt äußerlich nur diese Fahrt durch eine unwirtliche Winterlandschaft, die Tom zugleich fremd und vertraut erscheint. Doch innerlich öffnet sich ein ganzes Leben: das gescheiterte Künstlerdasein, sein Abgleiten in routinierte Familienfotografie, politische und religiöse Schatten Nordirlands – und vor allem das private Drama, das sich um seinen ältesten Sohn Daniel rankt. Wie Fotografien, die nie entwickelt wurden, blitzen immer wieder Szenen auf, die ahnen lassen, wie viel Schmerz Tom verdrängt hat und wie schwer die Schuld wiegt, die er mit sich trägt.
Nichts an diesem Roman ist laut oder effekthascherisch. Gerade die stille Intensität, die klaren Bilder und die unaufgeregte Sprache treffen ins Herz. „Reise durch ein fremdes Land“ ist ein leiser Roman, aber einer mit heftigem Nachhall. Er lässt einen nicht kalt – und manchmal ist es genau das, was Literatur tun sollte.


Neueste Kommentare