Biographie und Märchen in einem

Cover Herzfaden von Thomas Hettche

Thomas Hettche
Herzfaden
Kiepenheuer & Witsch 2020
280 Seiten
ISBN 978-3-462-05256-5

Die Augsburger Puppenkiste – wer kennt sie nicht mit ihren Helden Jim Knopf, Lukas dem Lokomotivführer, Urmel aus dem Eis? Doch wer steht dahinter? Wer kam auf die grandiose Idee dieses Marionettentheaters? Einfühlsam erzählt Thomas Hettche über die Entstehung der Puppenkiste, die praktisch ein Ergebnis des II. Weltkrieges ist. Denn ohne diesen Krieg würde es dieses wunderbare Theater nicht geben, so grotesk sich dies vielleicht auch lesen mag.

Walter Oehmichen, ein Schauspieler in Augsburg, fertigt für seine beiden kleinen Töchter ein Marionettentheater, das 1944 in einer Bombennacht völlig zerstört wird. Nach dem Ende des Krieges erbaut er mit Unterstützung der ganzen Familie ein neues Theater, das in einem leeren Saal des Heilig-Geist-Spitals seine Stücke zeigt. Es sind schwere Zeiten, die Menschen haben nur wenig Geld, dass sie meist für andere Dinge brauchen. Doch Familie Oehmichen glaubt an den Erfolg, vor allem Walter und Hannelore, seine jüngere Tochter, von Allen nur Hatü genannt, für die das Schnitzen und Spielen der Marionetten eine Berufung ist. Sie übernimmt später die Verantwortung für das Theater und sorgt dafür, dass auch neue Stücke gespielt werden wie beispielsweise ‚Der kleine Prinz‘ oder ‚Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer‘.

Die Biographie des Theaters ist eingebettet in ein Märchen, in dem ein 12jähriges Mädchen nach einer Vorstellung der heutigen Augsburger Puppenkiste durch eine geheime Tür auf einen Dachboden gelangt, wo sich die Marionetten befinden, die nach und nach zum Leben erwachen. Auch die erwachsene Hatü erscheint, die dem Mädchen die Geschichte der Augsburger Puppenkiste erzählt …
Doch Herzfaden ist nicht nur die Biographie einer deutschen ‚Institution‘, sondern auch ein Stück Zeitgeschichte, glaubwürdig und überzeugend beschrieben. Denn ohne die damaligen Verhältnisse würde es das Theater vermutlich nicht geben – Walter Oehmichen wäre wohl Schauspieler geblieben.

Die eigentliche Geschichte mit einem Märchen mit den allseits bekannten Marionetten zu umrahmen ist eine pfiffige Idee, aber mir kam es meist doch recht konstruiert vor. Wunderbar gelungen ist hingegen die optische Aufmachung des Buches. Die beiden Erzählstränge sind jeweils in roter und blauer Farbe gehalten und werden mit Zeichnungen der Augsburger Puppenkiste ergänzt. Ein schönes Buch zu einem Thema, das einem beim Lesen manchmal etwas nostalgisch werden lässt 😊

Deutscher Buchpreis Shortlist 2020

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