Blinde Tunnel
Tove Alsterdal
Blinde Tunnel
Aus dem Schwedischen von Hanna Granz
Kindler 2023
351 Seiten
ISBN 978-3-463-00050-3
Ein ungewöhnlicher Krimi mit einem ungewöhnlichen Thema. Sonja, die die Geschichte erzählt, ist Ende 40, Anfang 50, und kauft mit ihrem Mann Daniel in Tschechien ein Weingut. Es ist nicht nur die Verwirklichung eines lang gehegten Traumes, sondern auch der Versuch, sich wieder näher zu kommen. Doch als sie in ihrem alten Weinkeller, der zugemauert war, die mumifizierte Leiche eines Jungen mit weißer Armbinde entdecken, nimmt das Unheil erst so richtig Fahrt auf. Kurz darauf gibt es eine zweite Leiche, und Daniel wird als Verdächtiger festgenommen.
Sonja wirkt als Erzählerin eher bedächtig und zurückhaltend, aber sie ist eine aufmerksame Beobachterin und teilt uns ihre detaillierten Wahrnehmungen mit. So entsteht ein Gefühl für diese Gegend, in der sie sich niedergelassen haben, dem früheren Sudetenland, wo Tschechen und Deutsche gemeinsam lebten, bis der Krieg dem ein grausames Ende setzte. Sonjas Neugier wird größer, sie möchte wissen was damals geschah und spürt, dass die Vergangenheit für Viele Heute noch immer eine Rolle spielt, auch wenn nicht offen darüber gesprochen wird.
„Die Toten tragen die Lebenden, …, die Lebenden tragen die Toten.“
Und der tote Junge scheint ein Teil dieser Vergangenheit gewesen zu sein – hat die zweite Leiche auch damit zu tun?
Man erfährt in diesem Krimi viel über die Vertreibung der Sudetendeutschen durch die Tschechen nach dem Krieg und dem Versuch, sich in Deutschland ein neues Leben einzurichten. Was damals geschah, scheint bis heute nicht wirklich aufgeklärt zu sein, obwohl Tausende umgebracht und noch viel mehr ihres ganzen Hab und Guts beraubt wurden. Ich hatte das Gefühl, diese Geschichte ist das eigentliche Thema, während die Aufklärung des Mordes eher so nebenbei geschah. Der Spannung hat das aber nicht geschadet – ganz im Gegenteil!
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