Wolf

Saša Stanišić
Wolf
Carlsen 2023
188 Seiten
ISBN 978-3-551-65204-1
Kemi, wort- und geschichtenerfindender Ich-Erzähler, weiß, dass Wörter Macht haben. Besonders „übrigens“: „Sätze, die meine Mutter mit ‚übrigens‘ beginnt, enden nicht gut für mich.“ Und tatsächlich führt ein solches „Übrigens“ dazu, dass Kemi ins Ferienlager muss.
Natur? Lehnt er ab. „Bäume finde ich nur als Schrank super.“ Abenteuer? Lieber in Büchern. Doch weil seine Mutter Zeit für sich braucht, fährt er mit – in eine „Aktivitätenhölle“ aus Basteln, Nachtwalks und Klettergarten. Schnell durchschaut er, dass das Ferienprogramm nichts als ein getarnter Erziehungsurlaub ist.
Im Zimmer teilt er sich den Platz mit Jörg, einem sensiblen Außenseiter mit großem Herzen, Zeichenbegabung und sehr großen Ohren. Einige Jungs haben es auf Jörg abgesehen – und Kemi beobachtet, wie Mobbing funktioniert: ausgrenzen, schubsen, Angst machen. Nur eingreifen tut er nicht. Stattdessen analysiert er scharfsinnig, wie Kinder- und Elternwelten sich in Grüppchen sortieren – und erkennt, dass er und Jörg aus dem Raster fallen.
Nachts erscheint der titelgebende Wolf – gelb, stinkend, furchterregend –, Symbol seiner Angst und zugleich Katalysator einer leisen Veränderung. Regina Kehns Bilder fangen diese beklemmende Atmosphäre großartig ein: Der Wolf, gelb wie eine Glühbirne, umschlingt das Stockbett – oben liegt Kemi voller Panik, unten schläft Jörg. Und plötzlich ist klar: Beide kennen den Wolf.
„Wolf“ ist vieles zugleich – Mobbinggeschichte, Ferienroman, Freundschaftserzählung, es geht um Mut, Wut und Selbstermächtigung. Eine tolle Geschichte, die zeigt: Jeder Mensch ist ok, er wird nur von Anderen andersiger gemacht, wie Kemi es nennt. Von Anderen, die ihm Schlechtes wollen. Und dagegen muss man etwas tun.


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