Echtzeitalter
Tonio Schachinger
Echtzeitalter
Rowohlt 2023
365 Seiten
ISBN 978-3-498-00317-3
Schauplatz des Deutschen Buchpreis-Gewinners 2023 ist die fiktive elitäre Wiener Schule Marianum, die für das berühmte Wiener Internat Theresianum steht, in das der Autor selbst gegangen ist. Hauptfigur ist der zu Beginn zehn Jahre alte Till, der keiner der typischen Marianum-Schüler ist. Weder wird er „… als Arzt, Anwalt oder Unternehmer die Praxis, Kanzlei oder Firma seines Vaters …“ übernehmen, noch kleidet er sich wie die anderen Kinder: „… in grüne Polohemden und braune Segelschuhe …“ „… wie sie es ihr restliches Leben tun werden.“ Acht Jahre begleiten wir ihn durch seine Schulzeit, die Till für sich als irrelevant ansieht, denn seine Liebe gehört Age of Empires 2, einem Computerspiel, das er mit Hingabe spielt und er mit 15 Jahren zu den zehn besten Spielern der Welt gehört und damit eine Berühmtheit ist – was in seinem Umfeld niemand weiß.
So sind es zwei Welten, die in Tills Schulzeit aufeinanderprallen, die nichts, aber auch überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Da ist der Dolinar, sein Klassenvorstand in dieser traditionsreichen Schule, ein Scheusal von Lehrer, der von der Gegenwart nichts hält: „Nichts aus dem zwanzigsten Jahrhundert, keine Übersetzungen und nichts, was nicht als Reclamheft erhältlich ist“ wird in seinem Unterricht gelesen. Und es gibt die Digitalwelt, in die sich Till zurückzieht, sofern sich ihm die Möglichkeit bietet.
Zwischen diesen beiden Welten ereignen sich nun all die Dinge, die zum Erwachsenwerden dazugehören: Verluste (der Tod des Vaters), die erste Liebe, sich selbst behaupten in der Klasse und einiges mehr. All das wird nicht nur mit einem Blick fürs Detail beschrieben, sondern auch sehr humorvoll und unterhaltsam.
Das Elterndasein ist ein undankbarer Zustand. Eltern sind gewissermaßen die Widerlegung des Bibelworts mit dem Säen und der Ernte, denn für sie liegen zwischen Investition und Ertrag nicht Monate, sondern Jahre, Jahrzehnte, so viel Zeit, dass die beiden keine Konsequenz mehr voneinander sind.
Seite 72
Ein schön zu lesender „Preisträger“ mit vielen aktuellen Bezügen und Anspielungen in einem tollem Schreibstil – hach, so könnte es jedes Jahr sein 😊
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