Von Norden rollt ein Donner

Markus Thielemann
Von Norden rollt ein Donner
C.H.Beck 2024
287 Seiten
ISBN 978-3-406-82247-6
Es beginnt mit einer mysteriösen Begegnung: Der neunzehnjährige Jannes sieht am Rand einer Party eine Frau mit nackten Füßen, die ihn anstarrt, grüßt und der wir im Verlauf des Buches noch mehrfach begegnen werden. Diese Erscheinung, die nur er sehen kann, führt ihn zu einem Geheimnis, das mit seiner Großmutter Erika (genannt Eka) und einer unbewältigten Schuld der Vergangenheit verknüpft ist. Dass sich hier die transgenerationale Traumatisierung Jannes‘ nicht nur gefühlsmäßig zeigt, haben wir vermutlich der literarischen Freiheit zu verdanken 😉
Die Handlung ist im Herbst 2014 bis Frühjahr 2015 auf einem Hof in der Lüneburger Heide angesiedelt, wo Jannes mit seiner Familie Schafe züchtet. Der Alltag auf dem Hof – geprägt von harter Arbeit, Sorgen um die Herde und dem ständigen Wandel zwischen Tradition und Moderne – spiegelt die zentrale Frage des Romans: Wollen die Jungen das Erbe der Alten antreten? Und wenn ja, was erben sie da? Die Region, belastet auch durch die Erinnerung an Arbeitslager im Nationalsozialismus, bietet wenig Antworten. Selbst als Jannes versucht, Zeitzeugen zu befragen, bleibt vieles unausgesprochen.
Die Lüneburger Heide ist dabei mehr als nur Schauplatz – sie ist Projektionsfläche für verschiedenste Vorstellungen. Stadtbewohner idealisieren das Leben in der Natur, während lokale Akteure wie der neue Nachbar Traditionen für ihre Zwecke instrumentalisieren. Jannes muss sich gegen diese Vorstellungen stellen und eine eigene Haltung finden, was Thielemann klug und ohne belehrende Erklärungen erzählt.
Thielemann verwebt geschickt persönliche Konflikte mit gesellschaftlichen Themen: Der Großvater steht für die alte Ordnung, Jannes’ Vater leidet an beginnender Demenz, und Jannes selbst zweifelt an seiner Rolle in dieser Welt. Gleichzeitig wird die Gemeinde durch streunende Wölfe und neue Nachbarn erschüttert, die fremdenfeindliche Ideologien wiederbeleben. Der Autor zeigt eine Welt im Umbruch, in der sich scheinbare Heimatidylle und reale Herausforderungen vermischen. Eine lesenswerte Lektüre!
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