Wenn der Kaffeeplausch wichtiger ist als Aufklärung
Wenn der Kaffeeplausch wichtiger ist als Aufklärung
Mit Entsetzen habe ich die Nachricht gelesen, dass in Osnabrück ein Theaterstück, das sich mit sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche auseinandersetzt, abgesagt wurde – offenbar aus Rücksicht auf kirchliche Befindlichkeiten.
Der Intendant begründet die Entscheidung damit, dass ihm der Austausch mit dem Generalvikar wichtig sei. Im selben Atemzug kritisiert er die Darstellung eines Gottesdienstes auf der Bühne – eine Szene, die weder lächerlich noch herabwürdigend inszeniert war. Doch was besonders schockiert, ist die Wortwahl des Intendanten: Er habe sich von dieser Szene „missbraucht“ gefühlt.
Es ist unfassbar, dass ausgerechnet im Zusammenhang mit einem Stück, das den tatsächlichen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen thematisiert, dieses Wort derart leichtfertig verwendet wird. Missbrauch ist keine Metapher. Wer sich sprachlich auf diese Weise vergreift, relativiert unweigerlich das Leid der Betroffenen.
Ein Theater, das sich selbst zensiert, um keine religiösen Gefühle zu verletzen, während es um die systematische Verletzung unzähliger junger Menschen geht, hat seinen gesellschaftlichen Auftrag verfehlt. Theater darf und muss weh tun – besonders dann, wenn es um institutionalisierte Machtstrukturen und deren Schweigen geht.
Wenn der Wunsch eines Einzelnen nach einem harmonischen Kaffeeplausch wichtiger ist als die künstlerische Auseinandersetzung dem mit realem Leid Hunderter (in Osnabrück), dann ist das kein Dialog mehr – sondern Duckmäuserei.
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