Die Enkelin

Cover Die Enkelin von Bernhard Schlink

Bernhard Schlink
Die Enkelin
Diogenes 2021
367 Seiten
ISBN 978-3-257-07181-8

Im Mai 1964 findet in Ostberlin das Pfingsttreffen statt, bei dem sich die westdeutsche mit der ostdeutschen Jugend trifft. Dort begegnen sich Birgit und Kaspar: sie, die FDJ-Studentin, die die Notwendigkeit eines antifaschistischen Schutzwalls verteidigt; er, ein junger Student, Liebhaber der Bücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert, ein bisschen aus der Zeit gefallen. Sie verlieben sich ineinander und für ein gemeinsames Leben verhilft Kaspar Birgit zur Flucht.

Nach vielen gemeinsamen Jahren stirbt Birgit überraschend und Kaspar entdeckt erst da, dass sie eine Tochter hat. Er macht sich auf die Suche nach ihr und findet sich wieder unter völkischen Siedlerinnen und Siedlern, darunter die 14jährige Sigrun, die ihn sofort als Großvater akzeptiert. Es gelingt ihm, sie ein paar Wochen im Jahr bei sich zu haben und ihr seine Welt zu zeigen, eine völlig andere als die ihre und ihrer Eltern.

Doch es geht nicht nur um Kaspars Versuch, seiner Enkelin eine Alternative zu ihrem völkischen Leben zu bieten, sondern auch die Art wie er sich darum bemüht. Während sich der Durchschnittsmensch (wozu ich mich auch zähle) ausgesprochen schwer tut, Sätze hinzunehmen wie

Sie lügen über Auschwitz. Mit Zyklon B können Menschen nicht vergast werden, jedenfalls nicht so viele und so schnell, wie es über Auschwitz heißt.

widerspricht er Sigrun nicht direkt. Er fragt woher sie es wisse, stellt ihr ohne Erwartungen Informationen zur Verfügung, regt sie zum selbständigen Denken an. Es ist eine gemächliche, fast schon quälend langsame Entwicklung, bei der man diesem stets verständnisvollen Kaspar manchmal am liebsten in den Allerwertesten treten würde – aber er lässt die Menschen sein und werden, die sie sind, was für Manche wirken mag, als sei er gleichgültig.

Vielleicht ist es auch eine Wiedergutmachung an seiner verstorbenen Frau, die damals nach ihrer Flucht in eine neue Welt hineingeworfen wurde, ohne jemals dort richtig anzukommen, was Kaspar erst nach ihrem Tod erkennt. Seiner Enkelin soll dies nicht passieren, ihr will er zur Seite stehen.

Wunderbar geschrieben, voller Gefühl ohne je kitschig zu werden mit einem in gewisser Weise herrlich altmodischem Protagonisten.

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