Die Tausend Verbrechen des Ming Tsu
Tom Lin
Die Tausend Verbrechen des Ming Tsu
Aus dem amerikanischen Englisch von Volker Oldenburg
Suhrkamp 2023
302 Seiten
ISBN 978-3-518-47284
1869: Ein Western ohne Held, der für Recht und Ordnung kämpft – ist das noch ein Western 😉? Oh ja, und was für Einer! Ming Tsu, die Hauptfigur, in den USA geboren, ist eine Waise chinesischer Eltern. Von einem Weißen adoptiert, wurde er von diesem zu einem Auftragskiller ausgebildet. Als er sich in die Tochter eines Eisenbahnbarons verliebt und beide fliehen, verfolgt ihr Vaters sie, nimmt Ming Tsu gefangen und lässt ihn zu 10 Jahren Zwangsarbeit zum Gleisbau für die Central Pacific Railroad verurteilen. Als Ming Tsu flieht, will er nur Eines: seine Frau zurück und Rache. Mit einem Propheten und einer wundersamen Zirkustruppe macht er sich auf den Weg nach Westen.
Spannend, kritisch und stellenweise magisch – eine ungewöhnliche Mischung für dieses Genre, doch keine schlechte. Viel Raum wird den Gedanken und Gesprächen dieser ungewöhnlichen Figuren eingeräumt, die ansonsten in Western eher am Rande vorkommen, wenn überhaupt. Da ist der Navajo Notah, der Menschen die Erinnerung löscht; der Mexikaner Gomez, der das Ergebnis beim Würfeln vorhersieht; und natürlich Ming Tsu, chinesischer Abstammung ebenso wie der Prophet, der Vieles vorhersieht. Und nicht zu vergessen die vielen Chinesen, die beim Bau der Eisenbahnschienen ausgebeutet werden, doch in der amerikanischen Geschichte praktisch vergessen sind.
Während die einzelnen Racheakte (wie auch andere Morde) recht schnell und zügig erfolgen und auch so erzählt werden, gestaltet sich die Reise aufgrund der beschwerlichen Verhältnisse eher gemächlich und monoton. Geschickt verdeutlicht der Autor dies durch das wiederholte Beschreiben diverser Tätigkeiten wie das Reinigen der Waffe und das Schärfen eines Schwellennagels, sodass man beim Lesen selbst in dieser Monotonie zu versinken scheint. So nahe ist man dem wahren Western vermutlich schon lange nicht mehr gekommen.
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