Die spürst Du nicht

Daniel Glattauer
Die spürst Du nicht
Goldmann 2024
304 Seiten
ISBN 978-3-442-49496-5
Die wohlsituierten Familien Binders und Strobl-Marineks verbringen gemeinsam ihren Urlaub in der Toskana. Mit von der Partie: Benjamin (9), der Sohn der Binders, sowie Lotte (9) und Sophie Luise (14) von den Strobl-Marineks. Als Gast stößt Aayana dazu – eine Freundin von Sophie Luise, die es sich in den Kopf gesetzt hat, Aayana, ein geflüchtetes Mädchen aus Somalia, müsse unbedingt schwimmen lernen. Doch kurz nach der Ankunft geschieht etwas Katastrophales – und nichts ist mehr wie zuvor.
Erzählt wird die Geschichte von einem auktorialen Erzähler, der aus unterschiedlichen Perspektiven berichtet: Erwachsene, Sophie Luise, Medienberichte – und, fast noch wichtiger – die Kommentare, die sich anschließend online darunter sammeln. Wer in Österreich lebt, wird sich hier genauso wiederfinden wie jemand aus Deutschland. Der Unterschied? Maximal in der Aussprache von „Mehlspeise“.
Einige Figuren verdrängen das Geschehen, als wäre nichts gewesen. Andere kämpfen mit Schuldgefühlen, drehen sich dabei aber ausschließlich um sich selbst. Die Medien? Auf der Jagd nach Schlagzeilen. Die Kommentatoren? In Höchstform – selbsternannte Expert:innen mit maximaler Meinung bei minimaler Ahnung. Willkommen in der Gegenwart.
Das Besondere an diesem Buch ist jedoch nicht nur der Inhalt – so schwer er auch wiegt: Verlust, Schuld, Trauer, Scham, Egoismus (und Vieles mehr). Es ist der Ton. Denn obwohl es um unfassbar ernste Themen geht, ist da dieser leicht süffisante Unterton. Kein billiger Witz, sondern mehr ein sanfter Spott (oder feine Ironie?), das sich durchzieht – so leise wie scharf. Immer wieder muss man schmunzeln. Und manchmal bleibt einem genau dieses Schmunzeln dann doch im Halse stecken.
Ein glänzender Gesellschaftsroman über das, was man lieber nicht sehen will – und was man trotzdem nicht ignorieren kann. Glattauer zeigt mit leichter Hand, wie schwer das Leben manchmal ist. Und wie leichtfertig wir oft damit umgehen.
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