Eine Kindheit zwischen Armut und Alkohol
Douglas Stuart
Shuggie Bain
Aus dem Englischen von Sophie Zeitz
Hanser 2021
492 Seiten
ISBN 978-3-446-27108-1
Glasgow, Anfang der 80er. Der fünfjährige Shuggie Bain lebt mit seinen Eltern und seinen beiden Halbgeschwistern bei den Großeltern in deren 3-Zimmer-Wohnung. Sein Vater Shug, ein stadtbekannter Schürzenjäger, fährt Nachts Taxi, seine geliebte schöne Mutter Agnes ertränkt ihren Frust in Alkohol. Als Shug seine Familie in eine Wohnung in einer Bergarbeitersiedlung außerhalb von Glasgow einquartiert und danach verschwindet, scheint Agnes‘ Abstieg nichts mehr aufzuhalten.
Zehn Jahre umfasst der erzählte Zeitraum, in dem Shuggie zu einem jungen Mann heranwächst. Sein Leben ist bestimmt vom Alkohol, dem seine Mutter immer mehr verfällt und der ihn bereits als Kind mit acht, neun Jahren zu ihrem Beschützer und Betreuer werden lässt. Seine älteren Geschwister versuchen Abstand zu nehmen und mit 14 Jahren ist Shuggie allein mit Agnes, die das Kindergeld vom Dienstag meist schon am gleichen Tag für Alkohol wieder ausgegeben hat.
Es ist eine deprimierende Zeit, nicht nur in dieser Familie. Die 80er Jahre sind geprägt durch Thatchers Reformen, die ganze Stadtteile in die Arbeitslosigkeit stürzten, worauf der Alkohol- und Drogenmissbrauch so um sich griff, dass er im ganzen Stadtbild sichtbar wurde und das Schlechte im Menschen zum Vorschein brachte: Überfälle, Vergewaltigungen, Missbrauch, Mord. Shuggie und Agnes bekommen das am eigenen Leib zu spüren: Jeder ist sich selbst der Nächste und der so wenig männliche Junge ist als Opfer ebenso prädestiniert wie seine schöne, fast immer betrunkene Mutter. Dennoch versucht er sie stets voller Liebe und Hingabe zu beschützen und zu versorgen, was ihm angesichts seines jungen Alters vergleichsweise gut gelingt.
Es ist eine traurige und düstere Geschichte, die nur wenige Lichtblicke aufweist und drastisch vor Augen führt, was Alkoholismus nicht nur bei Abhängigen, sondern insbesondere bei deren Kindern anrichtet. Und trotzdem ist es immer wieder auch eine Lektüre voller Wärme und Mitgefühl, die man nur ungern aus der Hand legt, was an Douglas Stuarts außergewöhnlicher Sprache liegt. Er schafft bemerkenswerte Bilder, die auch das Grauen in Schönheit verwandeln.
…, aber als sie jetzt neben Leek stand, ließ sie die bernsteinfarbene Süße des Starkbiers in ihr Herz laufen. Seite 229
Agnes packte ihn am Pulloverkragen. Shug griff nach seinem Geldgürtel und küsste sie energisch mit der Zunge. Er musste die kleinen Knochen ihrer Hand zerquetschen, damit sie losließ. Sie hatte ihn geliebt, und er hatte sie vollkommen brechen müssen, bevor er sie endgültig verließ. Agnes Bain war ein zu kostbares Exemplar, um sie der Liebe eines anderen zu überlassen. Er durfte nicht mal Scherben übrig lassen, die ein anderer später einsammeln und kleben könnte. Seite 131
Ein beeindruckendes Buch, das zu Recht den Booker Preis 2020 erhalten hat.
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