Demon Copperhead
Barbara Kingsolver
Demon Copperhead
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
dtv 2024
862 Seiten
ISBN 978-3-423-28396-0
Dieser Roman erzählt die Geschichte des jungen Damon Fields, der in einem heruntergekommenen Trailer in den Apalachen geboren wird, einem Gebiet, das von struktureller Armut, Drogenmissbrauch und gesellschaftlicher Perspektivlosigkeit geprägt ist. Seine 18jährige Mutter ist drogenabhängig, „eine kleine Wasserstoffblondine, die ihre Pall Malls rauchte“ heißt es über sie, „mutterseelenallein und so schwanger wie nur was“, bekommt von Damons Geburt kaum etwas mit, weil sie zugedröhnt und ohnmächtig ist; der Vater ist tot. Es wird lange dauern, bis Damon mehr über ihn erfährt.
Auch wenn die ersten 10 Jahre Damons, den man mittlerweile Demon Copperfield aufgrund seiner roten Haare nennt, nicht leicht sind, wirklich schlecht sind sie auch nicht. Seine Mutter ist abstinent, hat einen Job und bringt sich und ihren Jungen so durch. Doch als sie einen neuen Mann mitbringt, gerät alles ins Rutschen. Er stellt sich als gewalttätig und hinterhältig heraus, Damon vernachlässigt die Schule und muss in eine Pflegestelle, wo er mit seinen elf Jahren zusammen mit anderen Jungen als billige Arbeitskraft missbraucht wird. Von da an scheint es für ihn immer weiter abwärts zu gehen, insbesondere als seine Mutter an einer Überdosis stirbt.
Es ist meisterhaft, wie Kingsolver diese beklemmende Realität in Appalachia eindringlich schildert, ohne in Sentimentalität oder Sozialkitsch zu verfallen sowie die erzählerische Leichtigkeit, mit der sie die tiefsten Abgründe menschlicher Existenz beleuchtet. Die Figuren, die sie erschafft, sind facettenreich und glaubwürdig, von der drogensüchtigen Mutter bis hin zu den korrupten und überforderten staatlichen Stellen. Das alles ist ein Panorama der Hoffnungslosigkeit, das hier aufgezeigt wird und einen gleichermaßen erschüttert und fasziniert.
Ein besonders eindrücklicher Aspekt des Romans ist die Erzählweise, die stark von der Perspektive des jungen Damon geprägt ist, der als Ich-Erzähler fungiert. Seine Sprache ist rau, direkt und oft von beißendem Humor aber auch Optimismus durchzogen, und diese authentische Stimme des Protagonisten verleiht der Geschichte nicht nur Tiefe, sondern auch einen gewissen Suchtfaktor, der einem beim Lesen trotz der düsteren Thematik immer weiterblättern lässt (Achtung: Es könnte kurze Nächte geben 😉).
Die scharfsinnige und lebendige Sprache von Kingsolver wird durch die brillante Übersetzung von Dirk van Gunsteren hervorragend ins Deutsche übertragen. Er schafft es, die Balance zwischen den derben, aber treffenden Beschreibungen und den emotionalen Momenten zu halten, ohne in Vulgärsprache oder Übertreibungen zu verfallen.
Dieses Buch ist mehr als nur eine Coming-of-Age-Geschichte; es ist eine kraftvolle Anklage gegen die anhaltende Armut und soziale Ungerechtigkeit in vielen Teilen Amerikas. Kingsolver hat einen modernen Klassiker geschaffen, der einen nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt. Eine literarische Reise durch ein Inferno der Hoffnungslosigkeit, die dennoch ein Fünkchen Hoffnung in sich trägt und sehr wahrscheinlich lange im Gedächtnis bleiben wird.
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